Viel Luft nach oben

Ernährungspolitik in Deutschland äußerst mittelmäßig

15 Prozent aller Todesfälle und 17 Milliarden Euro Gesundheitskosten pro Jahr gehen in Deutschland auf unausgewogene Ernährung zurück. Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich in Sachen Ernährungspolitik?

Die Ernährung weltweit ist neben Schäden an der menschlichen Gesundheit für ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich und hauptverantwortlich für das Artensterben. Die Politik sollte deswegen unbedingt dazu beitragen, dass sich Menschen gesund und nachhaltig ernähren.

Was politischen Rahmenbedingungen für eine gesunde Ernährung betrifft, fehlen in Deutschland weitestgehend die Strukturen. Das ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts der Ludwigs-Maximilians-Universität München und des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie, an dem Fachleute aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft beteiligt waren.

Dringender Reformbedarf

„Die Ergebnisse des Food Environment Policy Index 2021 zeigen, dass besonders in Deutschland noch viel Luft nach oben ist“, sagte Dr. med. Peter von Philipsborn aus München. Deutschland bleibt hier weit hinter seinem Potential zurück. Es bestehe dringender Reformbedarf, so die Forscher.

Die Forschenden hatten politische Maßnahmen in Deutschland mit einem standardisierten Verfahren erfasst und mit internationalen Best-Practice-Beispielen verglichen. In zwei Bereichen erreichte Deutschland im Vergleich zu anderen eine mittlere Bewertung: Datensammlung, -auswertung und -nutzung (Monitoring und Surveillance).

In sieben Bereichen hingegen ergab sich eine niedrige Bewertung: Nährwertzusammensetzung von Lebensmitteln, Lebensmittelangebot in öffentlichen Einrichtungen und Betrieben, Lebensmittelkennzeichnung, Internationaler Handel und Investitionen, Governance (inklusive Management von Interessenskonflikten und Evidenznutzung), Finanzierung, Plattformen für die Zusammenarbeit von Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.

In drei Punkten sehr schlechte Ergebnisse

Besonders schlecht fiel die Bewertung der Maßnahmen in Deutschland in drei Bereichen aus: Regulierung von Lebensmittelwerbung und -marketing, Lebensmittelpreisgestaltung und Lebensmittelangebot in Einzelhandel und Gastronomie.

Anschließend identifizierten die Autoren besonders wichtige Optionen für Reformen. Den folgenden fünf Maßnahmen wurde das größte Potenzial zugeschrieben: Qualitativ hochwertige, gebührenfreie Schul- und Kitaverpflegung auf Basis der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, eine gesundheitsförderliche Mehrwertsteuerreform, eine Herstellerabgabe auf zuckerhaltige Softdrinks, eine Regulierung von Kinder-Lebensmittelmarketing und gesundes Essen in öffentlichen Einrichtungen.

Zudem wurden die drei wichtigsten strukturelle Maßnahmen für eine gesundheitsförderliche Ernährungspolitik benannt. Dazu zählten die Evaluation von Maßnahmen, die Sammlung und Analyse von Ernährungsdaten sowie der Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Politik, Praxis und Wissenschaft.

„Bilanz der deutschen Ernährungspolitik Armutszeugnis“

„Die Bilanz der deutschen Ernährungspolitik ist ein Armutszeugnis. Die Versäumnisse von Julia Klöckner und ihren Vorgängern haben schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Menschen und kosten die Gesellschaft Milliarden“, kommentierte Saskia Reinbeck von Foodwatch die Ergebnisse.

Medizinische Fachgesellschaften, Kinderärzte sowie Verbraucherverbände fordern seit Jahren verbindliche Maßnahmen für eine gesunde Ernährung. „Freiwillige Selbstverpflichtungen der Lebensmittelindustrie seien gescheitert, denn nach wie vor enthielten 85 Prozent der Kinderprodukte zu viel Zucker, Fett oder Salz“ so die Sprecherin von Foodwatch.